Interview mit Maria Palme

Moralische Grundsätze im Umgang mit autoritären Regimen 
im Vergleich von Deutschland und Südkorea 
Maria Palme (Friedrich-Schiller-Universität, Jena) 

Wann? Mittwoch, 25.06.2014, 18-20Uhr 
Wo? Koreanistik, Wilhelmstraße 133, Raum 30 

Frau Palme hat sich bereit erklärt, The Koins ein paar thematische und persönliche Fragen zu beantworten: 

1. Bitte geben Sie uns eine kurze Zusammenfassung von ihr Vortragsthema. 
Der Vortrag knüpft an mein Dissertationsthema an. Dieses befasst sich mit der Frage, welche moralischen Prinzipien für die Aufarbeitung von autoritären Regimen maßgebend sind. Am Beispiel der vergleichenden Länderfallstudie der deutschen Enquete-Kommission „Zur Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (1992-1994), welche nach der Wiedervereinigung eingesetzt wurde und eine der ersten parlamentarischen Untersuchungskommission mit historischem Schwerpunkt war, und der südkoreanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission (2005-2010), einer der weit entwickelten Modelle ihrer Art, zeige ich das Potential, was (Ost-)Asien und (Ost-) Europa wechselseitig hinsichtlich eines gerechten und aufgeklärten Umgangs mit ihrer autoritären Vergangenheit für künftige Aufarbeitungsprozesse lernen können. 

2. Wann und wie kamen Sie mit Korea zum ersten Mal in Kontakt? 
Das erste Mal habe ich in der 9. Klasse im Rahmen des Geschichtsunterrichtes zum Kalten Krieg ein 30 minütiges Referat über den Korea-Krieg uns seine Parallelen zur deutschen Teilungsgeschichte gehalten. Das muss kurz nach der Wende um 1995 herum sein. Schon als Kind fesselten mich das Thema und die unglaublichen Ähnlichkeiten der beiden Teilungsgeschichten, welche viele Fragen offen ließen zur Anteilhabe und Verantwortung der weltgeschichtlich relevanten Akteure an der Konfliktentstehung im Hintergrund des Kalten Krieges. Im Zuge meiner Spezialisierung im Bereich der internationalen Transformations- und Versöhnungsforschung im Laufe meines Magisterstudiums bin ich im Rahmen der Vorbereitung zur internationalen Summer School mit thematischem Scherpunkt „Societies in Transition. East Asia and Australia between Conflict and Reconciliation“ an der Jenaer Universität Anfang 2013 erneut auf diesen thematischen Schwerpunkt und die Fragen der Vergleichbarkeit koreanischer und deutscher Vergangenheitsaufarbeitung gestoßen. Ich arbeite seit 2010 ehrenamtlich in der Geschichtswerkstatt Jena e.V., einer NGO, die sich symbolträchtig am 17. Juni 1995 auf Empfehlung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur begründete und gemäß der Tradition der parlamentarischen Untersuchungskommission zur Aufklärung der Unterdrückungsmechanismen und der Geschichte des Widerstands außeruniversitär beiträgt. Durch meine Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin im interdisziplinären Forschungszentrum des „Jena Center for Reconciliation Studies (JCRS)“ und dem praxisorientierten Ansatz der „oral history“ aus der Geschichtswerkstatt war es mir möglich, Theorie und Praxis zu vereinen und auch in meiner Doktorarbeit einzubringen, an der ich nun seit knapp 1,5 Jahren mit dieser Länderspezifikation arbeite. Seitdem ich anfangen habe, seit Januar 2013 koreanisch zu lernen und meine wissenschaftliche Recherche komplett auf die Ländervergleichsstudie fokussiert habe, bin ich umso überzeugter, dass der wechselseitige Erkenntnisprozess zwischen (Ost-) Europa und (Ost-) Asien eine große Bereicherung für die deutsche, aber auch internationale Transformations- und Versöhnungsforschung darstellt und die alleinige Fokussierung der internationalen Forschungsgemeinschaft auf die nordkoreanische (Wieder-)eingliederung und den koreanischen Wiedervereinigungsprozess komplett überbewertet wird. Gerade das südkoreanische Fallbeispiel zeigt einerseits, den weit unterschätzen Willen der Südkoreaner zur selbstbestimmten Aufklärung der Verbrechen der Militärdiktaturen, andererseits wird schnell deutlich, wie viel Arbeit hier für künftige Genrationen noch wartet. Andersherum wird das deutsche Fallbeispiel gerade auch aus asiatischer Perspektive komplett überschätzt. Zwar stellt Deutschland aufgrund seiner vielseitig gelobten Aufarbeitungsbemühungen in Folge der zweifachen Diktaturerfahrung einen Musterschüler in Europa dar, mangelhaft sind jedoch die selbstkritischen Auseinandersetzungen an der eigenen Vergangenheitsaufarbeitung nach 1990, welche mittlerweile auch zu einem Stagnationsprozess in der Aufarbeitungslandschaft und teilweise zur Resignation junger Historikergenerationen führen. Ich bedaure zu tiefst, dass die FSU Jena keinen oder nur einen begrenzten, meist eurozentrischen Forschungsschwerpunkt im Zeitgeschichtsstudium zulässt und globale Bezüge so teils aus dem Blick geraten, welche aber gerade bei der Betrachtung der Kalten Krieg Geschichte unabdingbar sind. 

3. Sie lernen viele verschiedene Sprachen. Welche davon mögen Sie persönlich am liebsten und warum? 
Da ich auch schon längere Zeit in Spanien/ Katalonien gelebt habe, habe ich eine große Affinität zur spanischen Sprache. Dies liegt aber bestimmt daran, dass sie auch eine der leichtesten Sprachen im europäischen Raum ist. Mit Latein als Zweitsprache nach Englisch stellt sie definitiv eine kleinere Hürde dar als die asiatischen Sprachen. Im Übrigen stellte die kritische Auseinandersetzung mit dem spanischen Bürgerkrieg und der Franco-Diktatur eine der wesentlichen Weichen für mein Interesse an der internationalen Transformations- und Versöhnungsforschung. Am interessantesten ist aber definitiv koreanisch, nicht nur weil sie die bisher für mich komplexeste Sprache ist, und einen vor ganz neue Herausforderungen stellt. Meines Erachtens, wird Ostasien in künftigen Generationen eine immer wachsendere Rolle spielen schon allein demografisch und ökonomisch betrachtet, sodass es keine Frage mehr spielt, welche der Sprachen Ostasiens man anfängt zu lernen, sondern bereits wie zeitig und wie viele. 

4. Wie sehen Sie die Aufarbeitungsprozesse der Park Chunghee-Dikatur (1962–1979) in Südkorea und die damit zusammenhängende Wahl von Park Geunhye zur Präsidentin in 2013? 
Wie ich auch in meinen Vortrag deutlich mache, ist die Wahl Park Geunhye eine der großen Überraschungen für mich gewesen. Aus demokratischer Sicht kann man ihr keine Vorwürfe machen, da ihre Wahl dem Willen des südkoreanischen Volkes entspricht. Allerdings sind die damit einhergehenden Gefahren wie historischer Revisionismus, Geschichtsverklärung, Beeinträchtigung der selbstkritischen Reflexion der Militärdiktaturen der 60er bis 80er nicht zu unterschätzen, die bereits aber auch schon bei ihrem Vorgänger zu spüren waren. Gerade die Opfer- und Zeitzeugengruppen, welche unter den Militärdiktaturen litten, haben seit der Versöhnungs-und Annäherungspolitik von Präsident Kim Dae Jung Anfang der 1990er Jahre Hoffnung gesammelt für eine aufgeklärte, demokratischere Entwicklung Südkoreas. Viele sahen eine historische Chance für einen selbstkritischen, aufklärten Umgang mit ihrer eigenen autoritären Vergangenheit und fühlen sich nun desillusioniert und von der Regierung Park Geunhye verraten. Man müsste sich nur mal umgekehrt vorstellen, dass bsw. Erich Honeckers Sohn in Deutschland neuer Bundeskanzler oder Bundespräsident werden würde. Das Vertrauen der betroffenen Bevölkerungsgruppen in einen neutralen Umgang der Regierung und einer fairen Aufarbeitung der teils immer noch nicht aufgeklärten Verbrechen unter mehr als 20 Jahren Militärdiktaturen ist erschüttert. Neben Politikverdrossenheit der jungen Generation sind viele der noch relevanten Zeitzeugen bereits fortgeschrittenen Alters und fürchten, dass manche Wahrheiten mit ihnen in der Vergangenheit verschwinden. An dieser Stelle wünscht man sich aus europäischer Perspektive einen höheren Sensibilitätsgrad in der Südkoreanischen Politiklandschaft. Einen möglichen Anschluss Nordkoreas zu dieser Stunde halte ich für fahrlässig und nicht zukunftsweisend für eine aufgeklärte, selbstbestimmte Demokratie ganz Koreas. 

5. Haben Sie ein koreanisches Lieblingsgericht? 
Der Klassiker – Gimchi. 

6. Was ist der wichtigste Aspekt ihres Vortrages, an den sich das Publikum auch in Zukunft erinnern soll? 
Ich habe während meines 4-wöchigen Aufenthaltes in Korea April diesen Frühjahres 2014 viele junge, nach Aufklärung strebende Südkoreaner kennen lernen dürfen, die mit eisernem Willen versuchen, das Andenken an die vergangenen Verbrechen aufrecht zu erhalten. Auch habe ich viele Intellektuelle (Akademiker, Pfarrer, usw.) gesprochen sowie Zeit- und Augenzeugen, Opfer der Militärdiktaturen und Angehörige von Opfern des Korea Krieges, welche sich allesamt ein Wiederaufgreifen oder eine Weiterführung der in den 1990er Jahren angestoßenen öffentlichen Debatte zur kritischen Aufarbeitung der Vergangenheit zurück wünschen. Ich hoffe, dass ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, ihnen künftig (wieder) Gehör zu verschaffen und dass sie nicht den Mut und den Willen verlieren, weiter unbequeme Fragen zu stellen. Die koreanische Wahrheits-und Versöhnungskommission ist ein Musterbeispiel, in ihrem Umfang, in Präzision, in Ergebnisdichte und Erkenntnisse über die menschlichen und staatlichen Verbrechen des 20. Jahrhunderts. Sie stellt einen unschätzbarer Fundus für die zeitgenössische Geschichte und künftige Historikergenerationen auch für Europa und die „westliche“ Welt dar. Die Arbeit der TRCK legt nicht nur Zeugnis über die Abgründe des menschlichen Umgangs miteinander, sie ist nicht nur Dokument der Barbarei, sondern zeigt auch die Emanzipation des Menschen und seine Fähigkeit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Bleibt künftigen koreanischen Politikergenerationen nur zu wünschen, dass sie die historische Stunde für Korea erkennen und sich von den Fesseln der Vergangenheit befreien können, ohne sie vergessen oder verdrängen zu müssen. 

Sehr geehrte Frau Palme, wir danken Ihnen nochmal recht herzlich für Ihre Zeit und Mühe!

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