Interview mit Seungjoo Baek


Da unsere Sprachdozentin Seungjoo Baek uns nach diesem Semester verlassen wird, bat ich sie um ein Interview über ihre Zeit und Erlebnisse in Deutschland.

Warum sind Sie nach Tübingen gekommen und war es schwer für sie, in ein Land zu ziehen, über dessen Kultur und Sprache Sie wahrscheinlich nicht viel wussten?

Der Grund warum ich hierher kam…. Eigentlich gibt es viele Gründe. Mein Ziel ist es, Koreanisch in anderen Ländern zu unterrichten. Nicht in Seoul. Ich möchte vollkommen neue Sprachen und Kulturen kennenlernen. Zum Beispiel die Studenten in Seoul kommen aus der ganzen Welt, also gibt es keine Metasprache, weswegen ich Koreanisch selbst in Level 1 auf Koreanisch unterrichten muss, denn einige von ihnen können kein Wort Englisch. Aber hier haben die Studenten eine gemeinsame Muttersprache, was es viel einfacher für mich macht, ihnen Koreanisch beizubringen. Seit ich hier bin, habe ich für mich festgestellt, dass Koreanisch als Fremdsprache zu unterrichten schwieriger ist als Koreanisch als Zweitsprache.

Sind die Austauschstudenten in Seoul aus der ganzen Welt oder kommen die meisten aus bestimmten Ländern?

Die meisten von ihnen kommen aus China, aber nicht mehr als 50%, dann Ostasien, Europa, Afrika… Besonders an der Seoul National University gibt es viele Studenten, die ein Stipendium ihrer Regierung erhalten haben. Manchmal habe ich von ihren Ländern noch nie gehört, deswegen ist es sehr interessant. (lacht)

Das heißt also, dass es Ihr erstes Mal im Ausland ist? Warum Deutschland?

Als Job, ja. Tatsächlich arbeitet mein Bruder in Deutschland, in Leverkusen. Deswegen fühle ich mich mit Deutschland verbunden, obwohl ich vorher noch nie hier war. Und ich spreche kein Deutsch. Aber irgendwie dachte ich, dass das mein Reiseziel sein wird. Ich sollte hierher kommen.

Wie haben Sie es geschafft, zu „überleben“?

Ähm… Meistens habe ich meine Zeit im Büro oder zuhause verbracht. Also gab es nicht viele Gelegenheiten, Deutsch zu sprechen oder mit Fremden in Kontakt zu kommen außer mit den Studenten. Daher war es nicht unbedingt schwer, hier zu leben. Ich kann ein bisschen Überlebensdeutsch wie zum Beispiel „Bezahlen bitte.“ Ich hatte außerdem einen zehnstündigen Kurs, bevor ich hierher kam. Aber der Lehrer hat nie wirklich erfahren, was es bedeutet, in Deutschland zu leben. Er lernte Deutsch nur durch Bücher und hing sehr an der Grammatik. Ich lernte Wörter wie „Ich“….. und so weiter. Aber kein wirkliches Deutsch. Manchmal schäme ich mich, wenn ich sehe wie gut Erstsemestler Koreanisch sprechen. Ich bin fast seit zehn Monaten hier und habe immer noch Anfängerniveau.

Gab es einige interkulturelle lustige oder peinliche Situationen, in denen Sie nicht wussten, wie Sie sich verhalten sollten?

Ja. Nach meiner allerersten Unterrichtsstunde haben die Studenten auf ihre Tische geklopft. Davon hatte ich vorher noch nie gehört und ich habe gefragt „Habt ihr Fragen? Gibt es ein Problem?“ Und sie antworteten: Nein, 선생님, es bedeutet 감사합니다 an deutschen Universitäten. Daraufhin war ich sehr überrascht. Und das zweite Mal war, als die Studenten, wenn ihre Nase lief, sie einfach so geputzt haben. Für mich war es sehr schockierend, denn niemand tut das in Korea. Wenn es wirklich schlimm ist, geht man auf die Toilette und kommt wieder zurück, aber niemals in der Öffentlichkeit.
Und: Verglichen mit Korea, zögern deutsche Studenten viel weniger, eine Frage zu stellen. Die meisten Studenten in Seoul sind überfordert mit der Situation und dem Umfeld. Normalerweise kommen sie dann nach dem Unterricht zu mir und stellen ihre Frage, was sie sich vor der Klasse nie trauen würden. Das ist schon ziemlich anders.

Was denken Sie, wie sich die Uni in Korea von der deutschen unterscheidet?

Ich habe Koreanische Literatur studiert. Und während des Bachelors kann nur eine bestimmte Prozentzahl der Studenten eine 1,0 erreichen, aber hier kann das theoretisch jeder. Deswegen sind die koreanischen Studenten gezwungen, gute Noten zu bekommen. Aus diesem Grund konkurrieren sie sogar mit ihren besten Freunden. Wir, die Koreaner, wissen nicht wirklich wie man mit seinen Freunden kooperiert, wenn es um Bildung geht. Das macht mich relativ neidisch auf deutsche Studenten, denn sie können schon in jungen Jahren die Fähigkeit erlangen, mit anderen zu verhandeln und zu diskutieren.

Warum haben Sie den Koreanischlehrerberuf gewählt?

Wie ich bereits erwähnte, habe ich Koreanische Literatur studiert. Es war sehr altes Koreanisch. Der Grund warum ich diesen Studiengang wählte, war einfach, weil ich kein Englisch mag. Wenn ich Wirtschaft oder Business studiere, muss ich Englische Bücher lesen, richtig? Aber in Koreanischer Literatur muss ich das nicht. Ein ganz einfacher Grund. Aber im Laufe der Zeit merkte ich, dass ich im 21. Jahrhundert ohne Englisch nicht überleben kann, weswegen ich begann, sowohl in Seoul als auch für sechs Monate in Kanada, Englisch zu lernen. Durch diese Zeit und die Erfahrungen bei der AIESEC, bei der ich zwei Jahre war, wurde mir klar, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, einen Beruf zu ergreifen, der das Lehren, Koreanisch und Englisch verbindet. Heute denke ich, dass das eine gute Entscheidung war. Ich mag es, fremde Menschen kennen zu lernen. Es ist eine gute Erfahrung für mich, zu sehen, wie die Studenten beim Koreanischen Alphabet anfangen und am Ende ihres Studiums sehr gut in Koreanisch sind. Ich fühle mich geehrt, ein Teil ihres Lebens zu sein. Ich denke… es ist schwer mit Worten zu beschreiben… Seit ich hier bin, respektiere ich die Studenten, die mit all ihrer Energie und all ihrem Geld nach Korea kommen, um zu studieren.

Wie haben Ihre Eltern und Ihre Freunde reagiert, als sie sagten, dass Sie für ein Jahr nach Deutschland gehen?

Sie waren sehr neidisch. 100% neidisch (lacht). Ein paar meiner Freunde haben sich Sorgen gemacht, weil sie denken, dass ich es nicht schaffen werde, mich wieder an das Leben in Korea zu gewöhnen, sobald ich zurückkehre. Manche haben mich sogar hier besucht, um sich die Gegend anzusehen. Und sie sagten, es sei wie ein großer Freizeitpark, so schön. Naja, manchmal sieht es langweilig aus, aber in Wirklichkeit ist es sehr schön.

Sind sie während der Weihnachtspause durch Europa gereist?

Ja, ich bin mit meinem Bruder eine Woche lang auf Gran Canaria gewesen. Es war zwar Spanien, sah aber nicht wirklich danach aus. Es gab viele Deutsche ältere Damen und Herren, deswegen konnte ich auf der ganzen Insel Deutsch hören. Sogar im Hotel waren die Anweisungen auf Spanisch, Englisch und Deutsch. Und ich bereiste Europa auch während der Sommerpause: England, die Niederlande, die Schweiz, die Türkei und einige Städte Deutschlands. Aber ich finde, dass Tübingen die beste Stadt zum Leben ist. Ich liebe es hier.

Würden Sie gern länger hier bleiben oder sind Sie glücklich, wieder nach Hause zu können?

Hmm… tatsächlich beides. Ich habe die Zeit in Deutschland wirklich genossen und die Studenten und die Fakultätsangestellten sind die Besten, aber zugleich vermisse ich meine Freunde. Hier sind die Winter und die Nächte so viel länger als in Korea. Also fünfzig-fünfzig. Es ist schön, hier zu sein aber ich muss auf jeden Fall zurück, da mein Vertrag ausläuft. Aber, wer weiß. Vielleicht komme ich noch einmal mit meiner Familie zurück.

Gibt es noch ein anderes Land, in dem sie ein Jahr als Lehrerin arbeiten wöllten?

Darüber habe ich noch nie wirklich nachgedacht. Vielleicht Thailand? Denn ich mag die Thailändische Küche und das schöne Wetter (lacht). Die Thailändische Sprache ist dem Koreanischen sehr ähnlich aber zugleich doch so sehr anders. Es wäre eine Herausforderung für mich, thailändischen Studenten Koreanisch beizubringen.

Wie haben Sie ihre Freizeit verbracht, wenn Sie welche hatten?

Vielleicht haben mich einige von euch bereits im Park getroffen, denn ich mag es, zu joggen und herumzulaufen. Für gewöhnlich samstags und sonntags산책해요 und 조깅해요. Und ich schaue gerne Unterhaltungsshows über das Internet wie zum Beispiel “Running Man” etc. Und ich liebe es, an Samstagen auf den Markt nahe der Krummen Brücke zu gehen. Dort kann man Obst und Gemüse günstig kaufen, wohingegen das in Korea sehr teuer ist. Und ich vermisse frischen, billigen Fisch, da dieser hingegen in Deutschland wieder sehr teuer ist.

Was ist Ihr liebstes deutsches Essen?

Hmm… interessant (lacht). Haribo und… Döner?

Die meisten Studenten beschweren sich immer über den Tübinger Döner…

Ach wirklich? (lacht) Für mich ist es das erste Mal, dass ich regelmäßig, zum Beispiel einmal die Woche, Döner esse. Und im Unterricht rede ich zwar immer über Schnitzel, aber in Wirklichkeit ist das überhaupt nicht mein Lieblingsessen, ich mag es nicht wirklich. Es ist nicht viel mehr als eine Lehrbuchantwort. Aber es gibt noch eins: Kartoffelknödel sind eines meiner liebsten deutschen Gerichte.

Was denken Sie, welche peinliche oder unangenehme Situationen den deutschen Austauschstudenten in Korea widerfahren werden, die sie vielleicht verwirren werden?

Nunja, in der U-Bahn gibt es oft alte 아저씨 und 아주머니, die es immer noch sehr interessant finden, wenn sie Fremde nur sehen. Sie sagen einfach alles und bedenken dabei nicht, ob man es versteht oder nicht. Und sie werden vielleicht „unhöfliche“ Fragen stellen, zum Beispiel: „Hast du einen Freund/eine Freundin? Bist du verheiratet? Wie alt bist du?“ Aber das ist nicht, weil sie euch nicht mögen, sondern vielmehr weil sie mehr über euch wissen wollen.

Gibt es etwas, was Sie den Studenten noch mit auf den Weg geben wollen?

Genießt eure Zeit! Und stresst euch nicht zu sehr. Der beste Weg, um eine neue Kultur und eine neue Sprache kennen zu lernen, ist Spaß zu haben und sich nicht zu sehr durch die Tests zu quälen oder ein berühmter Gelehrter zu werden. Und danke dafür, dass ihr die ganze Zeit so tolle Studenten ward. Bis bald, zu anderer Zeit an anderem Ort.





~감사합니다~

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