Interview mit Youngeun Koo
Letzte Woche bat ich Frau Koo, unsere Expertin der Koreanistik zum Thema Migration, um ein Interview über Korea, Migration und auch ihre eigene Geschichte.
Domenic
Es gibt viele Studenten in der Koreanistik, die Sie noch
nicht so gut kennen, weil sie bei Ihnen keinen Unterricht haben. Stellen Sie
sich doch bitte kurz vor.
Zurzeit promoviere ich hier in der Koreanistik. Im März
dieses Jahres bin ich nach Deutschland gezogen. Vorher habe ich sieben Jahre in
England gelebt, wo ich als Forscher in NGOs, die Migranten und Flüchtlinge
unterstützen, gearbeitet habe. Zudem habe ich in London auch meinen Master in
Migration Studies gemacht. Im Moment schreibe ich an meiner Dissertation, die
sich mit transnationaler Adoption von Südkorea beschäftigt und gebe Kurse über
Koreanische Migration.
Was finden Sie an dem Thema Migration besonders spannend?
Ich wurde in Daegu geboren. Gelebt habe ich dort, bis ich
fünf war, als meine Eltern beschlossen haben, nach Seoul zu ziehen, da sie der
Überzeugung waren, dass mein Bruder und ich dort bessere Bildungschancen haben
würden. Auf dem Bild kann man meine Eltern, meinen Bruder und mich sehen. Ich
bin typisch „koreanisch“ aufgewachsen. Als ich noch jünger war, dachte ich
nicht wirklich daran, dass ins Ausland gehen eine Möglichkeit sei und ich
denke, dass auch viele meiner Freunde so empfanden.
Aber als ich an die Uni gekommen bin, hat sich diese
Sichtweise ein bisschen verändert, denn plötzlich war Englischlernen im Ausland
ein Muss, um später einen guten Job zu bekommen. Also bin nach Neuseeland
gegangen, um Englisch zu lernen und anschließend machte ich eine Rundreise
durch Südostasien. Es waren acht Monate, in denen ich das erste Mal eine Art
Freiheit spüren konnte. Als ich dann zurück nach Korea kam, wollte ich
unbedingt wieder ins Ausland.
Wie ging es dann weiter?
Ich habe meinen Bachelor beendet und bin nach London
gezogen. Dort habe ich, wie schon erwähnt, als Forscher in den NGOs gearbeitet.
Eine der Organisationen, für die ich gearbeitet habe, hieß Reprezent. Es ist
eine Bildungs-NGO in Peckham. Peckham ist der Name eines Brennpunkts in
Südlondon mit hohen Kriminalitätsraten und hoher Armut. Dort gibt es auch viele
Migranten, besonders ethnischer Minderheiten. Hauptsächlich hatte ich mit
jungen Leuten mit BME-(Black Minority Ethnicity) Hintergrund zu tun. Viele von
ihnen fühlten sich stets systematisch diskriminiert und fanden, dass sie keine
Zukunft in der Englischen Gesellschaft hätten, obwohl sie dort geboren und
aufgewachsen sind. Beispielsweise existierte eine Polizeimaßnahme, die sich
„Stop and Search“ nennt. Polizisten ist es gestattet, jede Person, die sie für
„verdächtig“ halten, anzuhalten und zu durchsuchen. Obwohl die Polizei
behauptet, dass dies vollkommen zufällig und ohne besondere Vorurteile
geschehen sei, zeigen viele Studien, dass junge Dunkelhäutige oder asiatische
Männer sehr viel häufiger dieser Prozedur unterzogen wurden. Ich persönlich
musste diese Erfahrung Gott sei Dank nie machen, aber ich habe viele junge
Leute, mit denen ich auch gearbeitet habe, gesehen, wie sie auf so
erniedrigende Weise vorgeführt wurden. Bei Reprezent haben wir
Bildungsprogramme und auch einen Radiosender für junge Leute angeboten. Ich
habe geforscht, um zu verstehen, wie sie über bestimmte Sachverhalte, die sie
betreffen, denken. Die Ergebnisse wurden genutzt, um die Regierung über diese
Missstände zu informieren.
Das Leben und Arbeiten in London hat mir wirklich vor Augen
geführt, wie sehr Hautfarbe und ethnische Zugehörigkeit unser Leben
beeinflussen, unsere Möglichkeiten und auch die Sichtweise auf die Welt. Das
war einer der Hauptgründe, die mein Interesse an Migration Studies geweckt
haben. Ich fand die Arbeit dort wirklich erfüllend, aber ich hatte das
Bedürfnis, dieses Problem auf akademischem Wege weiter zu verfolgen, weswegen
ich dann einen Master in Migration Studies an der Oxford University abgeschlossen
habe.
Welche Schwierigkeiten hatten Sie, nachdem Sie in ein
vollkommen anderes Land ausgewandert waren?
„Die Sprache. Besonders am Anfang. Aber die Arbeit hat mir
geholfen, sowohl fließend Englisch zu sprechen, als auch die Britische
Gesellschaft besser zu verstehen.
Ich muss zugeben, dass ich in London nie Opfer von Rassismus
geworden bin, da London eine unglaublich gemischte und vielfältige Stadt ist.
Es schien mir auch, dass die Menschen in London (wie auch in vielen anderen
westlichen Kulturkreisen) der Meinung waren, dass Ostasiaten keine Probleme
bereiten. Man könnte sagen, dass das für mich von Vorteil war, da ich nie ernsthaften Rassismus erlebt habe, aber es ist auch genauso wichtig, zu
begreifen, dass ich dieses Privileg nur genau deswegen hatte, weil Ostasiaten
die auferlegten Standards der Gesellschaft "erfüllen". Das hat aber zur Folge,
dass Migranten anderer Herkunft schlechter gesehen wurden…“
Was denken Sie, ist wichtig, wenn man in ein anderes Land
auswandert?
Ich denke, Empathie ist besonders wichtig. Sich in die Lage
anderer versetzen können. Versucht zu verstehen, woher die Menschen kommen und
warum sie sich geben und verhalten wie sie es tun, anstatt einfach genervt und frustriert
zu sein. Wenn man in ein anderes Land zieht, wird es immer Dinge geben, die man
nicht verstehen kann und manchmal auch nicht verstehen wird. Und es ist auch
ganz normal, dass man ab und zu frustriert ist. Ich würde sogar so weit gehen,
zu sagen, dass es wirklich eigenartig wäre, wenn ihr keine Schwierigkeiten
hättet. Aber anstatt oberflächlich an die Sache heranzugehen und zu sagen „Die
Menschen hier sind so eigenartig und schlecht“, versucht lieber zu verstehen,
woher dieses Verhalten rührt und was die Gründe dafür sind. Das wird euch
helfen, ein viel besseres Verständnis der neuen Gesellschaft zu bilden. Wenn
ihr nach Korea geht, wird natürlich alles sehr anders sein. Sogar kleine Sachen
wie in der U-Bahn geschubst oder angerempelt zu werden, können euch nerven und
vom Land enttäuscht sein lassen, aber versucht einfach, einen breiteren Blick
auf die Gesellschaft zu werfen.
Haben sich Ihre Lebensgewohnheiten im Ausland verändert?
Ja, ich habe auch viele Dinge wieder von Neuem angefangen.
Ich bin viel offener gegenüber unbekannten Dingen und Denkweisen geworden.
Vorher war mir nie bewusst, dass ich in Korea immer versucht habe, wie jeder
andere zu sein. Ich hatte irgendwie Angst davor, etwas anderes als der Rest zu
tun. Als ich ins Ausland gegangen bin, hab ich Dinge ausprobiert, die ich mich
sonst nie getraut hätte. Ich bin auch viel aktiver was gesellschaftliche Themen
angeht. Der Abstand, den ich jetzt zu Korea habe, ermöglicht es mir, Korea viel
objektiver zu betrachten. Und ich mache auch wieder mehr Sport. (lacht)
Gibt es Dinge, die Sie vermisst haben?
Ja, am meisten natürlich meine Familie und meine Freunde. Aber mit KakaoTalk und
anderen Programmen kann man heutzutage sehr leicht in Kontakt bleiben und das
hilft ein ganzes Stück.
Warum sind Sie nach Deutschland gekommen?
Ich wusste schon vorher, dass die Koreanistik in Tübingen sehr schnell wächst
und der Forschungsschwerpunkt der Koreanistik Tübingen passt sehr gut mit
meinem eigenen Interessensgebiet zusammen. Der Umzug hierher war größtenteils
durch das Promotionsangebot bestimmt. Ich fand das Leben in London sehr schön,
wollte aber genauso sehr meine akademische Laufbahn verfolgen.
Im Moment muss ich mich noch hier einleben. In London hat es
mehr als ein Jahr gedauert, bis ich mich wirklich wohlgefühlt habe. Ich denke,
in Deutschland wird das Ganze ein bisschen länger dauern, da ich die Sprache
nicht gut beherrsche. Ich habe ein paar Deutschkurse, aber als ich nach England
gezogen bin, konnte ich ja schon Englisch. Aber hier muss ich wieder bei Null
anfangen. Aber bis jetzt gefällt es mir in Stuttgart und in Tübingen sehr. Die
Menschen sind sehr freundlich und zuvorkommend.
Viele Studenten in der Koreanistik denken darüber nach,
später selbst für immer nach Korea zu ziehen. Denken Sie, dass das ein bisschen
zu einfach gedacht ist?
„Also zuerst würde ich gern sagen, dass Korea in der Tat
bereits ein Staat ist, der mit Migration gut umgeht. Wenn man die enorme
Globalisierung und internationale Migration heutzutage betrachtet, würde ich aber
auch sagen, dass es generell naiv ist, sich vorzustellen, für immer an einem
Ort zu leben. Selbst im eigenen Land. Es gibt so unendlich viele Möglichkeiten
sowohl im eigenen Land, als auch in anderen Ländern, weswegen man nie wissen
kann, was einmal passiert.“
Was denken Sie, könnte besonders im Falle Koreas schwierig
werden?
Das Erste, was mir einfällt, ist wieder die Sprache. Aber ihr könnt ja schon recht
gut Koreanisch, was Vieles um einiges einfacher macht… ansonsten wahrscheinlich
einfach tägliche Gewohnheiten. Ich würde sagen, in Korea erledigt man die Dinge
schneller und hat auch ein größeres Konkurrenzdenken. Das kann am Anfang schon
eine Herausforderung sein.
Aber die Haltung gegenüber Migration verändert sich Schritt
für Schritt in Korea, die Koreaner werden offener gegenüber neuen Menschen. Aber
ihr werdet schnell merken, dass manche Migranten besser als andere behandelt
werden. Ich möchte, dass ihr euch dessen bewusst seid. Ich denke, die meisten
von euch werden ein tolles Jahr verbringen und die Koreaner werden sich sehr
für euch interessieren und euch gut behandeln. Jedoch könnte dieses Privileg
auch daher kommen, dass andere Migranten im Gegenzug weniger freundlich
behandelt werden.
Die letzte Frage: Waren die Kurse letztes Semester das
erste Mal, dass Sie selbst unterrichtet haben?
Ja, ich war vorher schon mal Hilfskraft aber den Kurs, den
ihr letztes Semester belegt habt, war mein erster eigenständige r Kurs. Ihr ward
sehr zugänglich, wodurch ich mich sehr wohl gefühlt habe. Ich kann mir schon
vorstellen, neben der Forschung auch die Lehre zu vertiefen. Ich mag den
Kontakt zu den Studenten: sie stellen Fragen oder sprechen Sachverhalte an, auf
die ich selbst nie gekommen wäre.
Gibt es noch etwas, was Sie den Studenten mitgeben wollen?
Wenn ihr bald nach Korea geht, seid offen und habt keine
Angst davor, auch manchmal Enttäuschungen zu erleben. Euer Aufenthalt dort wird
euch helfen, euren Horizont zu erweitern und Dinge aus einem ganz anderen
Blickwinkel zu sehen.
Vielen Dank
PS: Frau Koo wird nächstes Jahr für ihre Feldforschung in Korea sein und steht euch zur Seite, falls es Probleme gibt (natürlich auch jetzt schon in Tübingen). Bei Fragen: youngeun.koo@uni-tuebingen.de
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